Muttergebundene Kälberaufzucht

Definition
Herausforderungen
Unser System
Vor-und Nachteile

Allgemeines

Muttergebundene Kälberaufzucht ist ein Begriff, der sich in der Milchwirtschaft etabliert hat. Im Gegensatz zur Mutterkuhhaltung, wo Kuh und Kalb ausschließlich zusammenleben und nur zur Fleischproduktion dienen, wird bei der muttergebundenen – oder auf manchen Betrieben auch ammengebundenen Aufzucht – die Kuh trotzdem gemolken und dient der Milchgewinnung.

img

Um Milch zu produzieren brauchen wir Kühe.

Seit Jahrtausenden liefern sie den Menschen nicht nur Fleisch als Lebensmittel, sondern auch ihre wertvolle Milch. Das Schöne daran ist, dass sie für dieses Lebensmittel nicht erst sterben müssen, sondern bei der richtigen Fütterung und Haltung bis an ihr Lebensende einen Nutzen für uns Menschen haben und damit eine Daseinsberechtigung. Leider hat die Industrialisierung und der Wachstumswahnsinn dazu geführt, dass der Mensch den Bezug zur Natürlichkeit verloren hat und der Landwirt durch Preisverfall und Kostendruck, den er nicht an den nächsten weitergeben kann, dazu gezwungen wird, unnatürliche Zustände einzuführen und irgendwann zur Normalität zu erklären.
Im Grunde ist die moderne Kuh von heute ein Hochleistungssportler und so wird sie auch behandelt. In einem modernen Stall, der auf Leistung setzt, fehlt es den Kühen an nichts. Sie werden 24 Stunden am Tag umsorgt, bekommen bis zum letzten Gramm durchkalkulierte Mahlzeiten, ihre Gesundheit wird mit Argusaugen überwacht, es gib Wellness und den besten Schlafkomfort, den sich eine Kuh nur wünschen kann. Sie lebt in einem goldenen Schloss, damit sie ihre ganze Energie in ihre Leistung stecken kann. Sich daneben noch um Kinder kümmern zu müssen, wäre eine Doppelbelastung, die unweigerlich zu Leistungsverlust im Job führen würde. Jede Berufsfrau mit Familie weiß, wovon ich spreche. Seine Freizeit draußen in der Natur zu verbringen ist nicht nur gefährlich, es verbrennt Energie, die dann für den Job nicht mehr zur Verfügung steht…
Das was dabei verloren geht, ist die Natürlichkeit. Und unser Anliegen ist genau dagegen anzusteuern: Zurück zur Natur, auch im Leben unserer Hochleistungskühe. Natürlich ist dann die Spitzenleistung nicht mehr möglich. Aber es bringt Lebensfreude zurück. Und Lebensfreude schafft Energie und Energie macht aktiv und Aktivität hält fit und gesund! Und eine Kuh, die lange lebt, ist wiederum wirtschaftlich.

imag

Um Milch zu geben müssen Kühe erst ein Kalb bekommen.

Das ist von der Natur so vorgegeben. Auch der Rhythmus einer Laktation, also die Zeitspanne, in der eine Kuh ihr Kalb ohne den Eingriff des Menschen säugen würde, ist von der Natur bestimmt und trotz regelmäßigem Melken versiegt die Milch nach neun bis zwölf Monaten wieder. Manch eine schafft es länger, aber im Durchschnitt ist es diese natürliche Zeitspanne, die uns erlaubt Milch von der Kuh zu bekommen, ehe sie wieder ein Kalb zur Welt bringen muss, um neu ihre volle Leistung zu entfalten. Das führt dazu, dass Milchkühe jedes Jahr ein Kalb bekommen. Um den Verlust durch das Saufen der Kälber gering zu halten und aus arbeitstechnischen, aber vor allem wirtschaftlichen Gründen, ist man dazu übergegangen, die Kälber direkt nach der Geburt von der Mutter zu trennen und gesondert aufzuziehen. Die direkte Trennung hat den Vorteil, dass Kuh und Kalb in den meisten Fällen noch keine Bindung aufgebaut haben und unter dieser Trennung nicht offensichtlich leiden. Das ist in jedem Fall besser, als das Kalb einige Tage bei der Mutter zu lassen (beispielsweise in den ersten fünf Tagen, in denen die Milch der Kuh sowieso nicht verkauft werden darf) und es erst dann zu trennen. Dann ist der Schmerz unerträglich. Nichts desto trotz ist es kein natürlicher Vorgang. Und noch schlimmer, als die Trennung an sich, ist für uns das Verfrachten in Einzeliglus, wo jedes Kalb für sich die ersten zwei Wochen verbringt. Hygienisch und für die Kontrolle der Milchmenge, die es trinkt, hat es sicherlich seine Vorteile, aber es wird dem Herden- und Sozialtier Rind in seinem natürlichen Verhalten nicht gerecht.

Definition

img

Es gibt ca 80 Betriebe in Deutschlang, die ihre Kälber an der Kuh großziehen.

Dabei gibt es aber für die Bezeichnung muttergebundene – oder alternativ ammengebundene – Aufzucht keine einheitliche Definition. Die Auslegung und Umsetzung ist nicht gesetzlich oder rechtlich vorgegeben oder geschützt.
Gemeinsam haben sie, dass die Kälber, die auf dem Betrieb großgezogen werden, an einer Kuh gesäugt werden und nicht im Einzeliglu per Nuckeleimer. Wie dies dann umgesetzt wird und wie viele der auf einem Betrieb geborenen Kälber tatsächlich in den Genuss kommen, kann von Betrieb zu Betrieb sehr unterschiedlich sein.
Die Herausforderung ist sicherlich bei allen die Gradwanderung zwischen Tierwohl und Wirtschaftlichkeit, zwischen Gesundheit und Arbeitsaufwand. Und ganz sicher spielt auch die zugrundeliegende Motivation eine Rolle: Idealismus, Tierliebe, den Anforderungen der Gesellschaft gerecht werden, der finanzielle Ansporn (wenn man für diese Milch eine höhere Wertschöpfung erzielen kann) oder reiner Pragmatismus. Ich kann nur jedem raten: schaut euch auch diese Betriebe immer ganz genau an! Muttergebundene Aufzucht ist nicht gleich Muttergebundene Aufzucht. Der Begriff an sich sagt noch nicht wirklich viel darüber aus, was tatsächlich dahintersteckt.
Unabhängig von der Anzahl der Kälber, die auf einem Betrieb tatsächlich verbleiben dürfen (alle, nur die weiblichen oder nur die geeignete Nachzucht für die Herde, oder nach vier Wochen sind auf einmal alle weg?) gibt es auch in der Durchführung sehr unterschiedliche Varianten.
Es gibt Betriebe, die die Kälber komplett über die drei Monate oder auch länger im Herdenverband belassen und dann irgendwann ad hoc absetzen. Der Trennungsschmerz ist dann eine ernst zu nehmende Herausforderung.
Es gibt zeitlich begrenzte Phasen vor oder nach dem Melken, in denen Kuh und Kalb zusammenkommen und dann wieder getrennt werden. Es gibt Ammenkuhhaltung, wo nicht die eigene Mutter, sondern eine Amme mehrere Kälber großzieht.
Und schlussendlich gibt es Kombinationen aus all diesen Verfahren.

p-

Unsere Definition

Wichtig ist für uns die Frage: geht es vorrangig um das Kalb oder geht es dabei um die Kuh?
Unsere Motivation ist es, unseren Milchkühen für ihren Job etwas zurückzugeben und nicht nur den Kälbern zu ermöglichen an einem Euter zu saufen. Wir machen es nicht, um dem Verbraucher Tierwohl vorzuspielen oder weil uns jemand dafür einen besseren Milchpreis bezahlt.

Deshalb bedeutet für uns muttergebundene Kälberaufzucht, dass alle unsere Kühe ihr eigenes Kalb großziehen dürfen; und zwar über die gesamte Tränkephase. Keine Rotation nach vier Wochen, keine Kompromisse mit Ammen (außer eine Kuh nimmt ihr Kalb nicht an) und soweit wir es bewerkstelligen können und Unterstützung durch die Patenschaften bekommen, auch für jede Kuh (egal ob sie ein Top-Kalb zur Welt bringt oder eher ein weniger vielversprechendes, ein Frühchen oder gar krankes Kalb, die sich wirtschaftlich nicht wirklich rechnen).

Dafür haben wir ein System entwickelt, mit dem wir mittlerweile recht zufrieden sind. Oder besser gesagt, es hat sich über den Zeitraum von etwa einem Jahr, durch die auftauchenden Probleme und die dazu gefundenen Lösungen etabliert.

Die Herausforderungen

p

Es gibt verschiedene Herausforderungen bei der muttergebundenen Aufzucht, für die jeder Betrieb seine eigenen Lösungen finden muss. Deshalb wäre eine gestzliche Regelung für diese Aufzucht eher von Nachteil, da jeder Betrieb andere Voraussetzungen mitbringt und gesetzliche Vorgaben oft von Theoretikern und weniger von Praktikern aufgestellt werden.

Welche Herausforderungen gilt es zu meistern?

Zum einen ist da natürlich der eigene Anspruch an das System. Wie unter „Definition“ beschrieben, fällt darunter die Frage: wofür und für wen betreiben wir den Aufwand und wieviel Aufwand ist es uns wert?
Da für uns klar war, dass wir es jeder Kuh ermöglichen wollen -und zwar über den gesamten Zeitraum bis zum endgültigen Entwöhnen des Kalbes von der Milch- mussten wir folgende Herausforderungen meistern:

1. Stress von Kuh und Kalb
2. Tiergesundheit von Kuh und Kalb
3. Arbeitsaufwand
4. Melken
5. Absetzten
6. Wirtschaftlichkeit, d. h. genug Milch für den Verkauf

Zu 1: Stress

index-
Natürlich hat eine Kuh einen gewissen Stresspegel, wenn sie für ihr Kalb selber verantwortlich ist. Das Wissen, dass es ihrem Kalb gut geht, dass es sicher aufgehoben ist und ausreichend Nahrung bekommt, ist für die Mutter von äußerster Wichtigkeit, um sich entspannen zu können. Man mag es nicht glauben, aber jede Kuh weiß ganz genau, ob ihr Kalb satt ist, ob es gesund ist und ob es sicher ist. Ist dies nicht der Fall, wird sie nervös, verweigert das Verlassen des Stalls zum Melken, oder gibt im Melkstand ihre Milch nicht her. Sie kommt im Stall nicht zur Ruhe und frisst und widerkäut dann nicht mehr genug, was sich sehr schnell negativ auf ihre Milchproduktion auswirkt und einen negativen Teufelskreis in Gang setzt.

 

Zu 2: Gesundheit

jannes

Tiergesundheit ist ein wichtiges Thema. Es ist leider keine Selbstverständlichkeit, dass jedes Kalb innerhalb weniger Stunden seine erste und sehr wichtige Mahlzeit eingenommen hat (Kolostrum/ Biestmilch). Da ist genaue Beobachtung gefragt und zur Not eine Versorgung mit dem Nuckeleimer in den ersten Tagen notwendig, bis das Kalb begriffen hat, dass das Euter der Mutter die immer erreichbare Milchbar enthält.

Leben die Kälber von Anfang an in einer größeren Gruppe, ist der Keim- und Krankheitsdruck so wie die Ansteckungsgefahr größer, als in einem abgeschotteten Einzeliglu. Gleichzeitig haben sie aber durch diese Haltung ein deutlich besseres Immunsystem. Sie können im besten Fall mehrfach am Tag kleine Mengen der perfekt auf sie abgestimmten Muttermilch in der richtigen Temperatur aufnehmen. Außerdem sind manche Mütter äußerst penibel, wenn es darum geht, ihr Kalb sauber zu halten. Auch das regelmäßige Misten ist wichtig.
Die Gesundheit der Kühe spielt auch eine Rolle, denn sobald negativer Stress aufkommt, leidet die Eutergesundheit. Sei es, weil die Kälber nicht genug Milch abbekommen und dann ziemlich brutal mit den Zitzen umgehen, oder tatsächlich eine Euterentzündung durch falsches Melken entsteht.

Zu 3: Arbeitsaufwand

imag

Der Arbeitsaufwand darf die Kapazitäten der zuständigen Personen nicht überschreiten. Bei uns ist das meistens eine Person alleine, die die Stallarbeit schaffen muss. Im Grunde ist der Aufwand aber, wenn man es vernünftig organisiert hat, nicht größer als bei der konventionellen Iglu-Haltung. Denn die Zeit, die man für Beobachtung, Kälber zu den Kühen lassen und wieder trennen investiert, spart man mit dem Verzicht auf Milch vorbereiten, aufheizen, in Nuckeleimer verteilen und hinterher wieder spülen, leicht ein. Der Beobachtung der Entwicklung der Kälber muss aber ein weit größerer Wert beigemessen werden, da man keinen eindeutigen Parameter für die tatsächlich aufgenommene Milch eines Kalbes pro Tag hat. Da ergibt dann nur der Gesamtzustand des Kalbes Aufschluss und muss konsequent im Auge behalten werden.

Zu 4: Melken